Ein Interview mit
Christian Au
Lieber Herr Au, kurz und knapp, wie würden Sie sich in wenigen Worten vorstellen?:
Ich bin 44 Jahre alt, verheiratet mit einer tollen Frau und habe zwei wunderbare Töchter (8 und knapp 10).
Ich wurde 1974 mit Spina bifida und Hydrocephalus (Shunt versorgt) in Hamburg geboren.
Wir haben einen Familienhund namens Nelson. Er ist ein Leonberger, ein sanfter Riese.
Wie lange sind Sie schon Anwalt?
Ich bin seit Sommer 2004 als Rechtsanwalt tätig, seit 2011 darf ich den Titel „Fachanwalt für Sozialrecht“ führen. 2018 wurde ich vom Nachrichtenmagazin FOCUS in der Ausgabe FOCUS-Spezial „Das ist Ihr Recht 2018“ in die Liste der „TOP Rechtsanwälte 2018“ mit dem Schwerpunkt Sozialrecht aufgenommen.
War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie sich mit Ihrem Know-How für Menschen mit Behinderungen einsetzen wollen? Wenn nicht, was hat Sie außerdem gereizt? Warum dieses Fachgebiet? Wie sehr spielt ihr eigenes Leben hier eine Rolle?
Aufgrund meiner eigenen Behinderung war ich es schon lange vor der Aufnahme meiner Anwaltstätigkeit gewohnt, mit verschiedenen Sozialversicherungsträgern um meine Rechte zu streiten. Dieses Rechtsgebiet hat mich privat schon immer begleitet. Außerdem bin ich über meine Eltern seit über 40 Jahren Mitglied im Hamburger Landesverband in der ASBH. Hier hatte ich als Kind und Jugendlicher das große Glück, auf unzählige Wochenend- und Sommerfreizeiten fahren zu dürfen. Da die Bandbreite der Auswirkungen von Spina bifida und Hydrocephalus groß ist, wurde mir früh klar, dass ich die mir geschenkten Möglichkeiten einsetzen würde, um anderen Menschen mit Handicaps zur Seite zu stehen, die nicht so gut für sich selbst kämpfen können. In den acht Jahren, die ich Mitglied des Bundesvorstands war, war es mir eine besondere Freude, etwas von dem zurückgegeben zu können, was mir die ASBH seit vielen Jahren gegeben hat.
Das Sozialrecht ist schon seit langer Zeit für Laien so unüberschaubar geworden, dass es wichtig ist, einen Fachmann an seiner Seite zu haben, der einen durch den Dschungel lotst. Und bei mir kommt die besondere Komponente hinzu, dass ich durch meine eigene Betroffenheit Behörden und Gerichten die Bedarfe der Menschen, für die ich eintrete, besonders gut verdeutlichen kann.
Auch meine berufliche Tätigkeit als Berufsbetreuer und mein Ehrenamt als Behindertenbeauftragter der Hansestadt Buxtehude stehen für mich immer unter der Überschrift, dass ich Menschen, die sich nicht selbst helfen können, zur Seite stehen möchte.
Wie groß ungefähr ist der Anteil an Hydrocephalu-Betroffenen unter Ihren Klienten, wenn Sie das sagen dürfen und wollen?
Wir führen keine Statistik über die bei meinen Klienten bestehenden Behinderungen. Da ich aber seit vielen Jahren einer der Kooperationsanwälte der ASBH bin, ist der Anteil schon erheblich. Die Mitglieder der ASBH können bei mir und den anderen Kooperationsanwälten eine kostenlose Erstberatung zu sozialrechtlichen Problemen erhalten. Dadurch entscheiden sich natürlich auch immer wieder Mitglieder mit HC, uns mit dem Führen eines Verfahrens zu betrauen, weil ich nicht nur rechtlich sondern auch menschlich und in Ansätzen medizinisch darüber Bescheid weiß, was ihre besonderen Bedarfe und Sorgen betrifft.
Aber auch über meine Kontakte zum HC-Erfahrungsaustausch von Gunnar Meyn und seinen MitstreiterInnen vertrete ich verschiedene HC Betroffene. Durch meine Zusammenarbeit mit dem „Frühchen e.V.“ habe ich auch ab und zu vorwiegend sehr kleine KlientInnen, die sich ins Leben gekämpft haben, und infolge von Hirnblutungen teilweise einen HC ausgebildet haben. Ein Zwillingspaar (extreme Frühchen mit HC), für dass ich als Säuglinge eine 24-Stunden-Intensivpflege zu Hause durchgesetzt habe, geht inzwischen zur Schule.
Letztlich haben KlientInnen teilweise auch einen HC, die ich über die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rollstuhlsportverband oder die Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis Imperfecta betreue.
Wie groß ist – gemessen an Ihrer Arbeitszeit – der ehrenamtliche Teil, den Sie für HC Betroffene einsetzen?
Die Frage ist schwer zu beantworten, da meine Arbeitszeit und meine Ehrenämter sich in vielen Bereichen überschneiden.
So halte ich beispielsweise auf vielen Kongressen der ASBH und anderer Vereine oder Verbände Vorträge, bin aber darüber hinaus auch die gesamte übrige Zeit der Kongresse vor Ort, und führe ehrenamtlich viele Gespräche und gebe Tipps und zeige neue Wege auf.
Aber auch am Arbeitsplatz unterbreche ich meine Arbeit regelmäßig für die ehrenamtliche Beratung von Mitgliedern der ASBH oder anderer Vereine, mit denen ich zusammenarbeite.
Alle zwei Wochen biete ich als Behindertenbeauftragter der Hansestadt Buxtehude eine Sprechstunde für Menschen mit Handicap an. Auch hier sind teilweise HC Betroffene darunter.
Als Patientenvertreter in einer Arbeitsgruppe des Gemeinsamen Bundesausschusses setze ich mich derzeit dafür ein, dass das Heilmittel „medizinische Fußpflege“ bei weiteren Diagnosen als nur dem diabetischen Fuß zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden darf. Dieses betrifft zum Beispiel Spina bifida Betroffene mit hohen Lähmungen, die Durchblutungsstörungen und keine Sensibilität in den Füßen haben. Ein großer Anteil dieser Personengruppe hat auch einen HC
Als Mitglied des Gemeinderats meiner Wahlheimatgemeinde Jork setze ich mich unter anderem im Bau-, im Schul- und im Sozialausschuss für die Rechte von Menschen mit Handicap vor Ort ein; unter anderem für die Barrierefreiheit in Kitas, Schulen und öffentlichen oder privaten Einrichtungen. Jüngst konnte ich mit breiter Mehrheit unseres Rates einen Treppenlift für unsere Grundschule durchsetzen und auch bereits persönlich einweihen.
Was sind die häufigsten Gründe, warum HC Betroffene eine anwaltliche Unterstützung brauchen?
Hier ist eine ganze Reihe von Gründen zu nennen.
Über vielen Streitigkeiten steht immer das große Problem der „unsichtbaren Behinderung“.
Die Kostenträger sehen die Menschen – insbesondere mit isoliertem HC – häufig als zu gesund an, um die begehrten Leistungen zu gewähren. Die Betroffenen müssen um Anerkennung von Rehabedarfen im Arbeitsleben streiten, das heißt dass ihnen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuteilwerden. Sie müssen für die Gewährung von Erwerbsminderungsrenten kämpfen – teilweise, weil die Schwere der Beeinträchtigungen nicht anerkannt werden, die ein Weiterarbeiten unmöglich machen; teilweise aber auch mit dem Argument, die Betroffenen seien ja schon ihr ganzes Leben voll erwerbsgemindert, sodass sie durch ihre Berufstätigkeit gar keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erarbeitet hätten.
Auch um die Anerkennung eines angemessenen Hilfebedarfs durch die Pflegeversicherung oder die richtige Einstufung des Grades der Behinderung und bestimmter Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis müssen die betroffenen Menschen mit HC oft streiten. Hier ist es sehr von Vorteil, dass ich den Behörden und Gerichten sehr detailliert über bestimmte Teilleistungsstörungen berichten kann.
Und nicht zuletzt müssen sich HC Betroffene häufig mit den Straßenverkehrsbehörden über die Frage der Fahrtauglichkeit auseinandersetzen. Zu diesem Thema werde ich auf der nächsten Tagung des wissenschaftlichen Beirats der ASBH in Fulda referieren.
Im Hinblick auf meine Tätigkeit als Berufsbetreuer möchte ich noch ergänzen, dass manche HC Betroffene durch die Unterstützung eines (Berufs-)Betreuers erhebliche Erleichterungen im Alltag erfahren können.
Der Schriftverkehr mit Behörden, aber auch mit Arbeitgebern, Versicherungen usw. stellt infolge bestimmter Teilleistungsstörungen häufig eine Überforderung dar, denen Betroffene mit der „Vogel-Strauß-Methode“ begegnen, weil es für sie aussichtslos erscheint, den Schriftverkehr bewältigen zu können.
Dieses kann zum Beispiel zu Pfändungen aufgrund nicht beantworteter Mahnungen, Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung führen. Daher sollte bei einer Neigung zur Überforderung durch die immer größer werden Anforderungen des Alltags mit Volljährigkeit die Möglichkeit einer ehrenamtlichen Betreuung durch Angehörige oder wenn diese nicht zur Verfügung stehen, einer Berufsbetreuung zumindest erwogen werden.
Welches Problem/welche Frage aus Ihrem Fachbereich muss Ihrer Meinung nach am dringendsten gelöst werden, damit es HC-Patienten leichter haben?
HC Betroffene benötigen vor allem das Verständnis ihrer Mitmenschen für bestimmte Verhaltensweisen und Besonderheiten.
Dafür ist es wichtig, dass wir Patienten offen mit dieser „unsichtbaren Behinderung“ umgehen. Beispielsweise kann man zu seinem Vorgesetzen gehen und im erklären, dass man die Arbeit in der vorgegebenen Zeit schafft, wenn sie einem etwas portionierter übergeben wird. Werden einem aber zehn Vorgänge auf einmal vorgesetzt, ist vielleicht am Ende des Tages keiner bearbeitet. Wären sie einzeln nacheinander übergeben und bearbeitet worden, sind sie am Ende des Tages erledigt.
Und bezogen auf das Sozialrecht ist es wichtig, auf Gutachter der Kostenträger und Sachverständige in Gerichtsverfahren zu bestehen, die sich mit dem HC und seinen möglichen Auswirkungen auskennen.
Was wurde hier nicht gefragt, möchten Sie aber unbedingt erwähnt wissen?
Ich habe es in Vorträgen bei der ASBH schon oft betont, wie dankbar ich den mutigen Ärzten wie Herrn Dr. Aschoff bin, die sich dem Ziel verschrieben haben, Patienten mit Spina bifida und Hydrocephalus das Leben zu schenken und ihre Lebensbedingungen stetig zu verbessern, sodass ich heute mit meiner Familie ein unbeschwertes Leben führen darf.
Aber ohne die Hersteller der lebenswichtigen Hilfsmittel wie es insbesondere unsere Ventil/Shuntsysteme sind, wäre all das ärztliche Wissen und Geschick nur die halbe Miete! Danke!